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Die Wettbewerbswirtschaft ist mit einer demokratischen Staatsverfassung nicht nur deshalb vereinbar, weil sie die Staatsaufgaben in höchst ökonomischer Weise auf ein Minimum beschränkt und den Bürgern ein Optimum von konsumtiver und produktiver Planungsfreiheit einräumt, sondern sie fügt sich auch deshalb aufs Vollkommenste in eine politische Demokratie ein, weil sie in sich selbst ein demokratischer Vorgang ist.

Franz Böhm
Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft (1980), S. 89
Kommentar: Gemeinsam allein gegen die Krise Drucken
Montag, 27. Okt 2008

von Thomas Müller

Die europäischen Regierungen versuchen derzeit verzweifelt, in teilweise dramatischen Rettungsaktionen die eigenen Banken gegenüber der Finanzkrise, die 2007 auf dem US-amerikanischem Hypothekenmarkt begann, abzuschirmen und damit das Übergreifen auf die Realwirtschaft abzuschwächen. Tempo und Umfang der staatlichen Maßnahmen werden dabei nicht nur durch die rasch anwachsende existentielle Gefährdung heimischer Kreditinstitute, sondern auch durch die Rettungsmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten bestimmt. Die in der Regel mit Steuern finanzierten Milliarden-schweren Schutzschirme können die Situation im Idealfall im eigenen Land verbessern, sie treffen aber oft die Wirtschaft anderer Mitgliedstaaten. So beförderte die deutsche Bundeszusage zur Sicherung der Spareinlagen in- und ausländischer Personen den Anreiz für Österreicher ihr Geld in Deutschland anzulegen oder umgekehrt für deutsche Bürger ihr Steuerschlupfloch im österreichischen Kleinwalsertal aufzugeben. Es verwundert daher wenig, dass die Anlagensicherung hierzulande prompt angehoben wurde.

Kommission hält an Wettbewerbsprinzip fest

Vordergründige Krisenmaßnahmen können damit zugleich wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen sein. Dies umso mehr, wenn gilt, dass derjenige, der seine Banken zuerst und effektiver „rettet", letztlich besser und vielleicht sogar mit einer Vorsprungsrente aus der Krise aussteigt - schließlich geht auch diese einmal vorbei. Das vornehmlich dezentrale Krisenmanagement der EU-Mitgliedstaaten lässt somit Verzerrungen des Binnenmarktes befürchten, die eine Rezession der Realwirtschaft maßgeblich befördern könnte. Gerade das erreichte hohe Maß der Integration und damit die Abhängigkeit der mitgliedstaatlichen Märkte voneinander wirken in diesem Fall als Katalysatoren für einen allgemeinen Wirtschaftsabschwung.

Dies ist auch der Europäischen Kommission bewusst. Trotz des scheinbaren Anachronismus des Wettbewerbsprinzips in stürmischen Zeiten hält sie an diesem zu Recht fest. Schließlich machte erst die Protektionspolitik der Nationalstaaten  in den 1930er Jahren aus einer ähnlichen Krise „die" Weltwirtschaftskrise.

Eine derart umfassende mitgliedstaatliche Politik ist heutzutage freilich nicht mehr möglich. Besonders im Blick muss die Kommission jedoch die Beihilfevergabe durch die Mitgliedstaaten behalten. Die derzeitig geplanten oder bereits in Kraft gesetzten Rettungsmaßnahmen können solche staatliche Beihilfen sein, die letztlich zu einer Verzerrung des Binnenmarktes und zu einer weiteren Verschlechterung der Wirtschaftslage führen. Dementsprechend hat sich die Kommission - auch entgegen der Forderung, das Beihilferecht wegen der Krise überhaupt zu überdenken - dafür entschieden, die Krisenmaßnahmen  nicht generell aus dem Beihilferegime auszunehmen. Schließlich gibt es auch mit Art 87 Abs 3 lit b EGV („beträchtliche Störung des Wirtschaftslebens eines Mitgliedstaats") eine geeignete Ausnahmebestimmung in der europäischen Wirtschaftsverfassung, die marktkonforme Unterstützungsmaßnahmen ermöglicht. Dazu hat die Kommission kürzlich in einer Mitteilung Leitlinien veröffentlicht, die den Mitgliedstaaten eine beihilferechtliche Orientierung zur Bewältigung der aktuellen Bankenkrise an die Hand gibt.

Keine Krisenkompetenz der EU

Die derzeit erlebte „Herbstkrise" zeigt ganz klar, dass es noch immer nicht gelungen ist, ein funktionsfähiges zwischenstaatliches Krisenmanagement zu etablieren. Marktwirtschaftliche Systeme sind stets, oft mit einer gewissen Regelmäßigkeit, aber unterschiedlicher Intensität von Krisen „heimgesucht" worden. Dies liegt an ihrer Instabilität, die aber zugleich auch eine große Chance der Anpassung oder manchmal auch des Neubeginns ist. Kapitalismus und Krise sind zwei Seiten derselben Medaille.

Ein komplexes und im Grunde gut funktionierendes marktwirtschaftliches System wie jenes der Europäischen Union bedarf daher auch eines Systems des Krisenmanagements. Über Ausnahme- oder Flexibilisierungsbestimmungen allein lässt sich eine Wirtschaftskrise weder steuern noch bewältigen. Die derzeitige dezentrale Lösung, in der die Mitgliedstaaten weiterhin die Krisenkompetenz behalten, die Europäische Union bloß koordinative Funktion übernimmt („Gemeinsam im Alleingang"), geht mit der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen und einem Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten einher. Diese soll durch das Festhalten am Wettbewerbsprinzip abgemildert werden: Es wird auf die integrative Funktion des Europäischen Wettbewerbsrechts gesetzt. Die Alternative, eine effektive generelle wirtschaftliche Krisenkompetenz der Europäischen Union zu begründen, scheint nicht gewünscht zu sein. So stieß der Vorschlag eines EU-weiten Rettungsschirms schon mal auf Ablehnung. Es wird sich daher an dieser Krise zeigen, ob das dezentrale System effektiv ist. Sollte man zu einer anderen Überzeugung gelangen, so ist eine Reform des Systems in Richtung zentraler Krisenkompetenz der Europäischen Union unumgänglich. Auch zeichnet sich schon seit Längerem die nächste, vermutlich noch katastrophalere Krise ab: Die Klimaerwärmung, zumindest zu einem großen Teil Effekt eines globalen Marktversagens, dürfte in Wirtschaft und Gesellschaft weit größere und schmerzhaftere Umwälzungen zeitigen als der sieche Finanzmarkt. Doch  die Rettung des Weltklimas erweist sich gerade im Schatten einer Finanzkrise als tückisch - das ambitionierte EU-Klimapaket gerät immer mehr unter Druck.    
Aktualisiert: ( Sonntag, 18. Mär 2012 )