von Christoph Schramek
Den Drittelantrag von 70 Nationalratsabgeordneten, der auf Art 140a iVm Art 140 Abs 1 B-VG gestützt wurde, hat der VfGH mit seiner Entscheidung vom 03.10.2013 teils als unzulässig zurückgewiesen, teils als unbegründet abgewiesen.
Das Erkenntnis
Den
Drittelantrag von 70 Nationalratsabgeordneten, der auf Art 140a iVm Art 140 Abs
1 B-VG gestützt wurde, hat der VfGH mit seiner Entscheidung
vom 03.10.2013 teils als unzulässig zurückgewiesen, teils als unbegründet
abgewiesen. Die Antragsteller begehrten, einzelne Bestimmungen
des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts-
und Währungsunion („Fiskalpakt“, kurz: VSKS) als verfassungsändernd zu
qualifizieren. Dadurch wäre entweder ein vorbereitendes Bundesverfassungsgesetz
oder (alternativ) – allerdings schlechter argumentierbar -
über eine analoge
Anwendung des Art 50 Abs 4 B-VG eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Nationalrat
als auch im Bundesrat erforderlich gewesen.
Der
VfGH befasst sich in seinem Erkenntnis eingangs mit der Zulässigkeit des Antrags.
Dazu führt er aus, dass die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit von Art 3
Abs 1 lit b VSKS unzulässig und deshalb zurückzuweisen ist. Die
Antragsteller machten geltend, dass mit der lit b der Freiraum des Bundes, der
Länder und Gemeinden bei der Gestaltung der Haushalte (nach 13 Abs 2 B-VG) „über
das von der Verfassung verlangte Ausmaß“ eine
Einschränkung erfahre, indem die Untergrenze des strukturellen Defizits von 1%
(im SWP) auf
0,5% herabgesetzt wird. Nach Ansicht der Bundesregierung und des VfGH würde die
Streichung dieser einzelnen Bestimmung, die mit der Feststellung ihrer
Rechtswidrigkeit einherginge, allerdings eine weitergehende Beschränkung der
oben dargestellten Handlungsfreiheit bewirken, da der verbleibende Rest des Art
3 VSKS weiterhin anzuwenden wäre. Nach dem Wortlaut der übrig gebliebenen lit a
dürfen die Haushalte der Vertragsstaaten nur ausgeglichen sein oder einen
Überschuss aufweisen. Mit dem Wegfall der lit b, die ein Defizit von bis zu
0,5% des BIP zu Marktpreisen auch noch für zulässig erklärt und damit die lit a
konkretisiert, würde der VSKS den budgethoheitlichen Gestaltungsspielraum noch
weiter einschränken. Diesen zu „eng“ verfassten Antrag, mit dem keine
Beseitigung der Rechtswidrigkeit zu erreichen gewesen wäre, nimmt der VfGH zum
Anlass für eine Zurückweisung. Darüber hinaus weist er auch den „in eventu“
gestellten Antrag, der für den Fall, dass dem Art 50 Abs 1 Z 2 iVm Abs 4 B-VG
eine analoge Anwendung zuerkannt wird, die Feststellung der Rechtswidrigkeit
des gesamten VSKS begehrte, zurück. Dabei handelt es sich nach Meinung des
Gerichtshofes um einen „bedingten Antrag, der schon dann als nicht gestellt
anzusehen wäre, wenn die Bedingung nicht eintritt“.
Insofern fehlt dem Antrag ein ausreichend bestimmtes Begehren.
In
der Sache selbst geht der VfGH zunächst auf den Art 7 VSKS ein. Diese
Bestimmung ist im Zusammenhang mit dem Art 126 AEUV zu sehen, für den in
einzelnen Fällen durch den „six-pack“ das Verfahren des „Reverse Majority
Voting“ anstelle
der qualifizierten Mehrheit im Rat eingeführt wurde. Dahinter steckt die Idee,
das in erster Linie politische und schwerfällige Defizitverfahren effektiver zu
gestalten.
Ein derartiges „Verfahren der umgekehrten Mehrheiten“ sei nach Meinung der
Antragsteller wegen des Art 7 VSKS auch auf den Abs 6 des Art 126 AEUV anzuwenden.
Damit hätte der österreichische Vertreter im Rat die Pflicht, der Kommission
zuzustimmen, wodurch zum einen der jeweilige Minister, als oberstes Organ der
Verwaltung, entgegen dem Art 20 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 B-VG einer Art
Weisungsbefugnis unterliegen und zum anderen das Recht des Nationalrats gem Art
23e Abs 3 B-VG, den BM durch eine Stellungnahme in seinem Abstimmungsverhalten
zu binden, verletzt würde.
Der
VfGH führt dazu aus, dass der Art 7 VSKS das Verfahren nach Art 126 Abs 6 AEUV
unverändert lasse. Die beiden Bedenken hinsichtlich Weisungsbefugnis und
Verletzung des Art 23e Abs 3 B-VG träfen nicht zu. Im Wesentlichen begründet
der VfGH dies damit, dass es sich bei dem VSKS um einen völkerrechtlichen
Vertrag handelt und derartige völkerrechtliche Verpflichtungen zum einen
außerhalb seiner Prüfungskompetenz lägen sowie zum anderen den Art 23e Abs 3 B-VG
unberührt ließen.
Sodann
hat sich der VfGH mit der „salvatorischen Klausel“ des Art 2 Abs 2 VSKS zu
befassen. Von den antragstellenden Abgeordneten wird die Auffassung vertreten,
diese Bestimmung schaffe eine neuartige und umfassende Normenkontrollkompetenz,
die alle Organe der österreichischen Rechtsordnung dazu verpflichte, den VSKS
im Zuge seiner Anwendung auf die EU-Vertragskonformität hin zu beurteilen.
Nach Ansicht des VfGH handelt es sich dabei allerdings um eine übliche Regelungstechnik
sowohl des Völkervertragsrechts als auch des innerstaatlichen Rechts, die
keiner speziellen verfassungsrechtlichen Ermächtigung bedürfe.
Zu
guter Letzt setzt sich der VfGH mit der Frage auseinander, ob der VSKS in
verfassungswidriger Weise Hoheitsrechte auf die Union übertrage. Nach Meinung
der Antragsteller geschehe dies zum einen durch die Begründung der
Zuständigkeit des EuGH im Art 8 VSKS und zum anderen durch
neue und zusätzliche Genehmigungstatbestände für Haushalts- und
Wirtschaftspartnerschaftsprogramme im Art 5 VSKS. Der Art 9 Abs 2 B-VG sei
für die Übertragung von derartigen Hoheitsrechten auf die EU nicht anwendbar.
Der
VfGH hält dem entgegen, dass der Art 50 Abs 1 Z 2 auf die Genehmigung des VSKS
keine Anwendung findet, da es im Zuge des Fiskalpakts zu keiner direkten
Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU kommt, sondern über den Umweg eines
völkerrechtlichen Vertrages zwischen mehreren Mitgliedstaaten. Eine derartige
Übertragung finde auf der Grundlage von Art 9 Abs 2 B-VG statt, während
unmittelbare Hoheitsübertragungen auf die EU über Art 50 Abs 1 Z 2 B-VG
erfolgen.
Nach Ansicht des VfGH sprengen die nach Art 8 VSKS übertragenen Zuständigkeiten
nicht den Rahmen des nach Art 9 Abs 2 B-VG Zulässigen.
Zum
Art 5 VSKS führt der VfGH aus, dass es sich dabei, auch wenn man vom Vorliegen
einer eigenständigen Rechtsgrundlage für neue Genehmigungstatbestände ausgehe,
um eine völkerrechtliche Übertragung von Hoheitsrechten handelt, die ebenfalls von
Art 9 Abs 2 B-VG gedeckt ist. Darüber hinaus hält er fest, dass der Art 13 Abs
2 B-VG Bund, Ländern und Gemeinden einen breiten Spielraum bei der
Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und dem Anstreben
nachhaltig geordneter Haushalte einräumt. Eine Konkretisierung dieser Ziele muss
aber nicht ausschließlich durch Bundesverfassungsrecht erfolgen. Diese kann
auch durch einfaches Gesetz oder völkerrechtlichen Vertrag vorgenommen werden.
Weitreichende Festlegungen im Zusammenhang mit dem Art 13 Abs 2 B-VG sind
„nicht […] allein einer ,Verfassungsmehrheit‘ vorbehalten“.
Bewertung
Im
Lichte der wohl hL
ist dem Erkenntnis des VfGH vollinhaltlich zuzustimmen. Der VSKS stellt sich
weder als verfassungsändernd noch verfassungsergänzend dar. Seine Genehmigung
mit einfacher Mehrheit nach Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG ist somit in zulässiger Weise
erfolgt. Ein vorbereitendes Bundesverfassungsgesetz oder eine breitere Mehrheit
wären also nicht erforderlich gewesen.
Allerdings
hat sich der VfGH in diesem Erkenntnis mE zu einzelnen Fragen nur sehr knapp
geäußert und zum Teil die wesentlichen Kernprobleme umschifft. So hat er sich
zum Art 3 Abs 1 lit b VSKS inhaltlich gar nicht geäußert und den Antrag
stattdessen lediglich zurückgewiesen. Die Kritik an Art 7 VSKS hat er als nicht
in seine Kompetenz fallende völkerrechtliche Verpflichtung abgetan. Generell
weicht er den verfassungs- und unionsrechtlichen Problemen dadurch aus, dass er
regelmäßig auf den völkerrechtlichen Charakter des VSKS hinweist. Einzig zum
Gestaltungspielraum von Bund, Ländern und Gemeinden im Rahmen der Budgethoheit
bezieht der VfGH gegen Ende noch deutlich Stellung, was eine gewisse
Weiterentwicklung
zum ESM-Erkenntnis
darstellt.
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